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Agrarstruktureller Wandel  

- Ursachen und Konsequenzen für die Zukunft -

Der mächtige Anpassungsdruck, dem die Landwirtschaft in unserer dynamischen Wirtschaft ausgesetzt ist, erfordert eine permanente Weiterentwicklung der Unternehmen. Welchen Weg muss ein zukunftsorientiertes Unternehmen gehen, wenn die Besitzer in 20 Jahren ihr Einkommen noch in der Landwirtschaft verdienen wollen? Dr. Günther Lißmann, Agrarökonom aus Kassel betrachtet die Änderungen der Agrarstruktur in den vergangenen Jahrzehnten und extrapoliert sie in die Zukunft, dabei ist er sicher: „Die Entwicklung wird weitergehen und wir können heute relativ gut vorhersagen, was in 20 Jahren sein wird.“


Dr. Günther Lißmann, ehemaliger Dezernatsleiter Landwirtschaft, RP Kassel

 

Warum immer größere Höfe?

Die dauerhafte Sicherung eines bestimmten Lebensstandards erfordert bei Inflationsraten über Null mindestens eine der Inflationsrate entsprechende Einkommenssteigerung. Das gilt auch für landwirtschaftliche unternehmen. Das Problem der Landwirtschaft besteht aber darin, dass die Erzeugerpreise für beispielsweise Getreide, Schweinefleisch, Rindfleisch, Milch und Eier in den vergangenen 40 Jahren nominal weitgehend konstant geblieben sind. Daraus resultiert, dass wegen der jährlichen Inflationsraten seit 1970 die heutige reale Kaufkraft aus dem Erlös für 100 kg Getreide noch 6 Euro, für ein kg Schweinefleisch noch 50 Cent, für ein kg Milch noch 10 Cent und für ein Ei gerade noch 2 Cent beträgt. Die Kosten für die Lebenshaltung, Kranken- und Altersvorsorge sowie der gesamte Aufwand für die Agrarproduktion stiegen dagegen mindestens entsprechend der Inflationsrate. Reichte beispielsweise der Landwirtsfamilie in den 50er Jahren noch der Verkauf von zwei kg Roggen zum Kauf von einem kg Roggenbrot, so muss der Landwirt heute 20 kg Roggen erzeugen und verkaufen, um ein kg Roggenbrot zu erwerben. Wer bei diesen Rahmenbedingungen mit der Einkommensentwicklung in anderen Berufsgruppen mithalten will, muss mehr oder andere Produkte produzieren. Daraus folgt eine stetige Rationalisierung und Betriebsanpassung bzw. Betriebsvergrößerung.

Weltmarkt zwingt zur Rationalisierung

Heute konkurrieren Landwirte nicht nur mit ihren unmittelbaren Berufskollegen um die Kaufkraft der Verbraucher, sondern mit Agrarproduzenten in aller Welt. Seit der Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik im Jahre 1993 mit dem McSherry Programm und spätestens seit der Agenda 2000 mit fortschreitender Liberalisierung der Agrarmärkte, ist jedem Landwirt klar geworden, dass seine nachhaltige betriebliche Existenzfähigkeit von den Weltmarktpreisen für Agrarprodukte maßgebend mitbestimmt wird. Weltmarktpreise nehmen keine Rücksicht auf nationale Kosten. Die Entwicklung von wettbewerbsfähigen Produktions- und Agrarstrukturen, die eine kostengünstige Agrarproduktion zulassen, bilden daher die elementare Voraussetzung für eine nachhaltige Existenzfähigkeit der Höfe in Deutschland. Die konsequente Nutzung des technischen, biologischen sowie organisatorischen Fortschritts ermöglicht Unternehmenswachstum und Produktivitätssteigerung. Wie in der Vergangenheit wird dies auch in Zukunft die einzig wirksame Strategie zur Sicherung der betrieblichen Existenz sein. Dabei ist es unerheblich ob das Wachstum über die kostengünstige Mengenproduktion von Standardprodukten (Kostenführerschaft) oder über die Eroberung von speziellen Märkten mit neuen Produkten und Vertriebswegen (Produktführerschaft) realisiert wird. Biogasanlagen und Photovoltaik eröffnen neben der klassischen Agrarproduktion weitere Einkommensquellen, um Höfe für die Zukunft fit zu halten. Wichtig bei jeder Weiterentwicklung ist das Gesamtergebnis. Die Multiplikation von erzieltem Umsatz mit der betriebsindividuellen Umsatzrentabilität muss ein Einkommen bringen, das im mehrjährigen Durchschnitt angemessene Lebenshaltungskosten und sonstige Privatentnahmen für die Unternehmerfamilie sowie die Nettoinvestitionen für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung garantiert. Wer im Einzelbetrieb die Kostendegression durch Größenvorteile bei modernen Stalleinheiten, Maschinen und Flächengrößen nicht erreichen kann, sollte die Möglichkeit zur Kooperation mit Gleichgesinnten ausloten. Die nachhaltige Einkommenssicherung in der Landwirtschaft ist nur über wettbewerbsfähige Unternehmens- und Flächenstrukturen zu erreichen.

Wandel der Agrarstruktur

Die Agrarstatistik bestätigt die Wachstumsthese. Der Agrarstrukturwandel in den vergangenen 60 Jahren ist karakterisiert mit dem Schlagwort „Wachsen oder Weichen“. Die Übersicht 1 belegt die Zusammenhänge seit dem Jahre 1950. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Unternehmen ist von 1,34 Millionen im Jahre 1950 in Westdeutschland auf heute 294.000 Unternehmen, in West- und Ostdeutschland zusammen, zurückgegangen. Die Flächenausstattung der zukunftsorientierten Haupterwerbsbetriebe entwickelte sich von durchschnittlich 9,5 ha im Jahre 1950 auf heute deutlich über 100 ha landwirtschaftliche Fläche (LF). Die enorm gestiegene Produktivität durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen und baulicher Anlagen wird daran deutlich, dass im Jahre 1950 pro 100 ha etwa 36 Arbeitskräfte (AK) tätig waren und heute nur noch 2,5 AK. Ein weiteres Indiz für die in den 50er Jahren nicht für möglich gehaltene Produktivitätssteigerung ist, dass heute 150 Menschen von einer AK in der Landwirtschaft ernährt werden. Im Jahre 1950 dagegen konnte ein Landwirt die Nahrung für nur 10 Menschen produzieren. Die in der Übersicht 1 dargestellten Werte für 2011 bis 2030 sind Prognosen und resultieren aus der Extrapolation der bisherigen Entwicklungslinien.

 

Kostensenkung durch größere Einheiten

Immer größere und technisch weiterentwickelte Maschinen und Tierhaltungsanlagen sowie größere Flächenausstattungen mit größeren Schlägen sind in den landwirtschaftlichen Unternehmen kein Selbstzweck, sondern dringende Notwendigkeit zur Senkung der Stückkosten. Die Landwirtschaft ist dabei der einzige Teil der Volkswirtschaft, der neben den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital auch den Produktionsfaktor Boden für das Unternehmenswachstum dringend benötigt. Da die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland und weltweit nicht vermehrbar ist, wird es bei Flächenausdehnung in den Wachstumsbetrieben auch weiterhin Betriebe geben müssen, die ihre Landwirtschaft aufgeben. Eine zusätzliche Verschärfung erhält die Agrarflächenknappheit durch den erheblichen nicht landwirtschaftlichen Flächenbedarf. Die größte Flächeninanspruchnahme erfolgte hier in der Vergangenheit und wohl auch in Zukunft durch Siedlungs- und Verkehrsmaßnahmen sowie durch die Ausweisung von Freizeit- und Naturschutzflächen. Ein Ende des Strukturwandels in der Landwirtschaft ist aus den genannten Gründen nicht in Sicht, auch wenn in der Gesellschaft heftig über immer größer werdende Betriebe und Flächenversiegelung gestritten wird. Die Wachstumsschwelle der Betriebe, das ist die Betriebsgrößengruppe in der Zuwächse zu verzeichnen sind, hat sich von 30 ha in den 70er Jahren, über 50 ha in den 80er Jahren auf  heute 100 ha LF hochgeschoben. Das Gros der entwicklungsfähigen Betriebe hat heute bereits eine Flächenausstattung die weit über 100 ha LF liegt. Die in der betriebswirtschaftlichen Literatur seit langem beschriebenen „Economies of Scale“ (Kostendegression durch Größenvorteile) sind gerade in der hoch technisierten Landwirtschaft von heute zur (bitteren) Realität geworden.

Entwicklungstrends

Die Entwicklungstrends für die Betriebsgröße, die Anzahl der Betriebe und die Beschäftigten in der Landwirtschaft können aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert werden. Ein Abflachen oder gar eine Umkehr der Trends ist nicht zu erwarten, da auch in Zukunft hohe technische Innovationskräfte Produktivitätssteigerungen auslösen werden (vgl. Übersicht 1). Der technische Fortschritt, der in den nächsten 10 bis 20 Jahren den Strukturwandel verursacht, wird bereits heute bei den Spitzenbetrieben erfolgreich eingesetzt. Die Entscheidung über Wachsen oder Weichen muss jeder Unternehmer aufgrund seiner Gesamtsituation individuell treffen. Eine Entscheidung für den geordneten Rückzug aus der Landwirtschaft ist dabei eine ebenso verantwortungsvolle unternehmerische Entscheidung, wie die zu weiteren Wachstumsinvestitionen. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auf den Weltmärkten ist langfristig nur aufrecht zu erhalten, wenn der Strukturwandel in der Agrarwirtschaft mit dem technischen Fortschritt Schritt hält. Der Zwang zum Wachstum resultiert nicht aus einer verfehlten Politik, sondern hat seine Ursachen in der fortlaufenden Innovation und der Liberalisierung der Weltagrarmärkte.

Konsequenzen für die Zukunft

Deutschland ist hinter den USA und den Niederlanden das drittgrößte Exportland für Agrarprodukte. Wenn der tägliche Flächenverlust minimiert werden kann, sind weitere Produktionssteigerungen insgesamt möglich. Dies ist auch dringend notwendig, um der weltweiten Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Bioenergie begegnen zu können. Wegen der demographischen Entwicklung in Europa wird der Absatz in EU-Länder und insbesondere in Deutschland eher rückläufig sein. Der Export insgesamt und insbesondere in nicht EU-Länder wird weiter wachsen. Deutschland exportiert über 30 % seiner Agrarprodukte. Das heißt nicht, dass eine Überproduktion besteht, denn die Importe sind noch höher. Unter Einbeziehung der Importfuttermittel kommt Deutschland nur auf einen Selbstversorgungsgrad von 89 %. Könnte Deutschland wegen hoher Produktionskosten den Export nicht realisieren, gäbe es in Deutschland einen massiven Preisverfall wegen nicht absetzbarer Agrargüter. Denn die Importe würden, in unserer liberalisierten Wirtschaftswelt, ja weiter stattfinden. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und dessen Regionen müssen für die Erhaltung einer einheimischen Landwirtschaft weltweite Konkurrenzfähigkeit ermöglichen. Um die Wachstumsmärkte, insbesondere in Asien wird es unter den Agrarexportnationen USA, Niederlanden, Deutschland, Brasilien und Frankreich zukünftig einen verstärkten Wettbewerb geben. Deutschland ist aufgrund seiner Standortvoraussetzung, seines Wissensvorsprungs und seiner Technikausstattung gut aufgestellt, um in einem liberalisierten Weltagrarmarkt bestehen zu können. Die weltweite Nachfrage wird ebenso wie die Produktion weiter steigen. Das Preisniveau wird volatil bleiben aber insgesamt eher nach oben tendieren. Die Hoffnung auf steigende Weltmarktpreise könnte aber im Gegenzug durch den Abbau der EU-Prämien getrübt werden.

 Milchviehhaltung im Jahr 1958Milchviehhaltung im Jahr 1958  Milchviehhaltung heuteMilchviehhaltung heute

Milchviehhaltung im Jahr 1958 und heute: Wer von der Landwirtschaft leben will, muss sich an die Wirtschaftsdynamik anpassen und mit dem technischen, biologischen und organisatorischen Fortschritt Schritt halten.          Fotos: Dr. Lißmann

Zielgrößen

Eine rentable landwirtschaftliche Unternehmenseinheit benötigt für die Erzielung vertretbarer Stückkosten eine bestimmte Mindestgröße. Für die klassischen Betriebsformen Milchvieh, Ackerbau oder Schweinemast oft ergänzt mit einer Biogasanlage, sollte der Produktionsumfang mindestens Arbeit für 3 Voll-AK bieten, die sich auch gegenseitig vertreten können. Dieser Mindest-AK-Besatz, der sich aus Familien- und Fremd-AK zusammensetzen kann, ist nicht nur wegen der Kostendegression bei entsprechend großen Stückzahlen zu fordern, sondern auch wegen der ökonomischen und sozialen Absicherung der Unternehmenseinheit. Technisch und biologisch hoch anspruchsvolle Produktionsprozesse wie in der Landwirtschaft benötigen eine absolut gesicherte und qualifizierte Vertretung bei Unfällen, Krankheit und Urlaub, um wirtschaftliche Verluste gerade bei nicht vorhersehbaren Ereignissen zu vermeiden. Die in der Übersicht 2 dargestellten Kennwerte für die Vergangenheit und die Zukunft zeigen exemplarisch die Entwicklung solcher 3 AK-Unternehmen für die Produktionsschwerpunkte Milchviehhaltung, Schweinemast und Ackerbau. Die Einkommenskurve zeigt das Einkommen das für Entlohnung und Nettoinvestition in einem 3 AK-Unternehmen, in den vergangenen Jahrzehnten von 1970 bis 2010 erforderlich war und von den zukunftsorientierten Unternehmen auch erzielt wurde. Die Säulen darunter bilden die für die erzielten Einkommen erforderlichen Umsätze im Milchvieh-, Schweinemast- und Ackerbaubetrieb ab (s. zweite y-Achse). Dabei werden für die Vergangenheit und für die Zukunft durchschnittliche Umsatzrentabilitäten von 25 % in der Milchviehhaltung, 20 % in der Mastschweineproduktion und 15 % im Ackerbau unterstellt. Extrapoliert man die Einkommenskurve mit den statistischen Vergangenheitswerten, mit gleicher Steigungsrate in die Zukunft, so ergeben sich bei den oben genannten Umsatzrentabilitäten, die darunter für die Zukunft dargestellten betrieblichen Zielumsätze. Das 3 AK-Unternehmen wurde aus oben genannten Gründen als Basiseinheit gewählt. Bei größeren Unternehmen sind die Prognosewerte anteilsmäßig entsprechend zu erhöhen. Die Relationen bleiben gleich. Aus den prognostizierten Umsatzwerten können die betriebsindividuell geforderten Tierzahlen und Flächengrößen abgeleitet werden. So ergeben sich beispielsweise bei den in Übersicht 2 für 2020 anzustrebenden Zielumsätze: Bei einem reinen Milchviehbetrieb 250 Kühe, bei einem Mastschweinebetrieb 3.000 Mastplätze und bei einem Ackerbaubetrieb je nach Intensität 500 bis 800 ha Ackerfläche. Wenn es Kombinationen zwischen den Betriebsformen gibt oder beispielsweise eine Ergänzung mit einer Biogasanlage existiert oder geplant ist, können die Einzelaktivitäten auch entsprechend geringer sein.

 

Fazit

Es spricht vieles dafür, dass die sehr stetige Entwicklung aus 60 Jahren Vergangenheit, sich auch so in die Zukunft fortsetzen wird. Die globale Wirtschaftswelt kennt keinen Stillstand und auch keine Rücksicht. Wer sich aus dem Entwicklungsprozess ausklinkt oder zur Anpassung nicht mehr fähig ist, bekommt früher oder später ein Problem. Wer von einem ldw. Unternehmen leben will muss quantitativ und/oder qualitativ wachsen. Die Wachstumsschritte sollten aber mit Augenmaß vollzogen werden. Wachstum geht nicht im Konflikt mit der Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft, sondern nur im Konsens unter Berücksichtigung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit.